Verirrt in den Zeiten by Oswald Levett

Verirrt in den Zeiten by Oswald Levett

Autor:Oswald Levett [Levett, Oswald]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-02-08T16:00:00+00:00


Sechsunddreißigstes Kapitel

An einem der nächsten Tage ging ich in die Stadt, um nach den Arbeiten der Handwerker zu sehen.

Es war ein strahlend-schöner Tag. In goldnem Glanze lag vor mir die Landschaft, deren Anblick mich immer wieder an die Sendung mahnte, die ich zu erfüllen hatte. Sie war der Fels, in dem die ungebornen Formen schlummern, die des Künstlers Meißel wecken soll. Mit andächtigen Blicken betrachtete ich sie, wie ein Liebender, der nach den Zügen seiner Liebsten in dem Antlitz ihrer Mutter forscht.

War das heute wirklich ein Sommermorgen des Jahres 1632? Konnte das nicht die Landschaft meiner Jugend sein? Lächelnd, unschuldig, gleichsam zeitlos lag sie vor mir. Nur weit drunten, auf der Landstraße, fuhr eine vierspännige, altmodische Reisekutsche, von Reisigen geleitet, und wenn ich zur Seite blickte, sah ich die Wälle und die Gräben der Stadt.

Unterwegs im Walde, als ich aufatmend stillstand und das Sonnenlicht verfolgte, wie es sich oben in den dichtverzweigten Wipfeln fing, so daß es unten gleich einer goldnen Spinne über das Moos, die rostig grünen Farben huschte, da fuhr mir’s plötzlich durch den Sinn, ich müsse gleich zurück und Konradin vor dem Kraftwerk warnen, damit er nicht an der gefährlichen Maschine unkundig hantiere und ihm ein Unglück widerfahre.

In jagender Angst lief ich zurück. Doch als ich oben ankam, fand ich ihn wohlbehalten vor der Staffelei. Auf seinem Antlitz lag solch inbrünstige Sammlung, solch hoheitsvoller Ernst, daß ich kaum wagte, ihn zu stören. Als er endlich aufsah und ich zu sprechen begann, strich er mir zärtlich über meinen Scheitel und sagte: »Und warum seid Ihr ganz außer Atem zurückgelaufen? Seid Ihr nicht abergläubisch? Wißt Ihr nicht, daß Umkehr Unglück vorbedeutet? Nein, Lieber, habt doch keine Furcht um mich. Furcht hab’ ich selbst vor diesen unheimlichen Dingern, die unbeseelt sind und doch unermüdlich tätig und von unmenschlicher Kraft. Nein, nie will ich denen in die Nähe kommen. Dazu bedarf es gar nicht Eurer Warnung. Denn es erscheint mir immer lästerlich vermessen, daß ich die spät errungenen Geheimnisse ferner Geschlechter schauen soll.«

Als ich ihn drängte, er möge sich, wennschon nicht das Wesen der Maschine, so doch wenigstens ein paar Handgriffe erläutern lassen, um sich vor Gefahr zu schützen, da hielt er sich die Hände vor die Ohren und wehrte schreckhaft ab.

So mußte ich gehen. Lange blickte er mir nach mit seinem strahlend holdseligen Lächeln.

Mehr denn je mußte ich heute an Agathe denken.

Ich kann nicht müde werden, das Unerhörte zu beschreiben, das ich bei jedem Gange durch die Stadt empfand, und immer wieder suche ich nach einem Gleichnis. Habt Ihr je nach vielen Jahren eine Stadt betreten, wo Ihr einst liebtet? Kennt Ihr die seltsam köstlichen Gefühle, die der wohlvertraute und doch fremde Anblick aller Dinge weckt? Jugend, Sehnsucht und Erinnern wird wiederum lebendig, und stets aufs neue sucht Ihr nach den Zeugen dessen, was Euch teuer war. Und wenn nun erst Jahrhunderte dazwischenliegen und wenn es eine fremde Welt ist, die Euch, staunend und bestaunt, empfängt!

So suchte auch ich die Stätten der Erinnerung, als ob sie, unter dem äußern Schein,



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